«Projekt für junge Asylsuchende»

Waldemar Krupski möchte zum zügigen Integrationsprozess von unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden beitragen.

von Claudia Naujoks

Waldemar Krupski ist Sozialpädagoge und Familientherapeut, hat viele Jahre Erfahrung in verschiedenen Lebenswelten und Kulturen gesammelt und unterstützt – seit 2022 wieder im Kanton Uri ansässig – Menschen im Rahmen seines Beratungsangebots «Wakr Coaching». Hauptberuflich arbeitet Waldemar Krupski bei der Stiftung Papilio als Jugend-, Eltern- und Suchtberater.

Als «Papa light», wie er sich selbst bezeichnet, betreut er unbegleitete minderjährige Asylsuchende (MNA, Mineurs non accompagnés), die ohne Eltern in den Kanton Uri gekommen sind, wenn sie mit Ämtern und Behörden zu tun haben, und unterschreibt Dokumente für sie als gesetzlicher Vertreter. Das Mandat erhält er von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) in Form einer amtlichen Ernennungsurkunde. Diese erlischt automatisch, sobald das Mündel – es sind mit einer Ausnahme alles junge Männer – volljährig wird.

«Darüber hinaus ist es wichtig, dass ich die Interessen der jungen Menschen vertrete, wie ein Vater für seinen Sohn eben», erklärt er seine Rolle und fährt schmunzelnd fort: «Ich fungiere auch als Korrektiv und Sparringspartner für die Jugendlichen oder die Sozialarbeitenden, wenn mal etwas nicht wunschgemäss verläuft.»

Mittagstisch für nachhaltige Integration

Um den Kontakt zu seinen derzeit zwölf MNA zu pflegen, besucht er sie an den verschiedenen Wohnorten, wie zum Beispiel dem Clubhüüs von Martin Kopp in Erstfeld, in denen sie untergebracht sind, um «die Luft zu schnuppern», wie er es nennt. Das lässt sich am besten beim gemeinsamen Abend­essen und Gesprächen in der Runde bewerkstelligen. «Solche Abende schätze ich ganz besonders. Dort erlebe ich, wie sie sich sprachlich und sozial entwickeln und in ihrer Schicksalsgemeinschaft einen ‹familiären› Anschluss gefunden haben», sagt Krupski.

Aber längst nicht alle haben die Möglichkeit, in integrativen Wohnformen zu leben. Das brachte den engagierten Beistand, der auch bei der Gesundheitsförderung Uri als Projektleiter für Männer-Tische an­gestellt ist und ganz neu das Angebot Young-Tische für junge Menschen aufbaut, auf die Idee, Einwohner und Einwohnerinnen im Kanton Uri zu motivieren, Migranten einmal im Monat zu sich nach Hause zum Essen einzuladen. «Plus 1 am Tisch» heisst die Initiative, die nun zusammen mit der Gesundheitsförderung Uri lanciert wird.

Ressourcen erkennen und nutzen

Krupskis Überzeugung: «Eine nachhaltige Integration passiert am besten und schnell­sten über persönliche Kontakte und Beziehungen.» Und diese liege seiner Meinung nach nicht nur im Interesse der hier Ankommenden, sondern auch im Interesse der Gesellschaft, denn in den Jugendlichen befinde sich zumindest teilweise die Lösung für den hierzulande herrschenden Fachkräftemangel.

Waldemar Krupski hat die Vision, dass der Kanton Uri seine Chance durch seine Kleinheit erkennt und ein Zeichen setzt, indem es hier direkter, unbürokratischer und persönlicher läuft. So auch im Bereich Arbeitswelt. Hier träumt er von einem Label für Firmen, die junge geflüchtete Menschen ausbilden: «So, wie es früher beim Mangel von Lehrbetrieben hiess ‹Wir sind ein Ausbildungsbetrieb›, könnte es heute heissen: ‹Wir sind ein Integrationsbetrieb›», ist Krupskis Idee für die Unternehmenswelt des Kantons Uri. Voller Enthusiasmus setzt er sich ein – nicht nur für die MNA, sondern auch für einen Perspektivwechsel hin zu einer Sichtweise, dass Geflüchtete im Kanton Uri nicht zwingend eine Belastung des Systems, sondern auch eine Chance für die Wirtschaft und eine Bereicherung für die Gesellschaft bedeuten können.

«Vor gut hundert Jahren migrierten zahlreiche Urnerinnen und Urner nach Übersee. Sie nahmen enorme Risiken und Strapazen auf sich. Manche riskierten ihr Leben. Die Migranten, die heute zu uns kommen, insbesondere junge Afghanen, verlassen ihre Heimat aus purer Not – Hungersnot. Sie sind traumatisiert und gezeichnet von brutalen, hochkrimi­nellen Schleppern und Menschenhändlern», konstatiert Waldemar Krupski.

Hinweis
Young-Tische wird getragen und unterstützt von Gesundheitsförderung Uri www.gesundheitsfoerderung-uri.ch (Ernährung und Bewegung – Projekte) sowie der nationalen Geschäftsstelle von Femmes-Tische/Männer-Tische Schweiz www.femmestische.ch, www.maennertische.ch

«Lieber Trychler, liebe Trychlerin, …»

das Getöse der Kuhglocken ist zu deinem Markenzeichen geworden. Die geballte Faust ist Zeichen deiner Kampfbereitschaft. Die Armbrust Zeichen deines Widerstandes. Der Gesslerhut steht für den Aufstand gegen die Diktatur. Der ausgestreckte Zeigfinger ist dir Zeichen der Staatsmacht. Du verstehst die Macht der Symbolik! Starke Symbole setzen starke Emotionen frei. Mit Fake News, Verschwörungsideologien, mit haarsträubenden Argumenten berichtest du über das Ende der Demokratie. Lieber Trychler, liebe Trychlerin – du machst mir Angst. Du machst mir Angst, weil du mich mit deinem Getöse zum Schweigen bringen willst.

Der Lärm deiner Kuhglocken erinnert mich an ein Land, wo ich ein paar Jahre leben durfte. Dort waren es die Sirenen der Polizei, die mich anfangs verängstigten. Später machten sie mich wütend. Auch sie verursachten tosenden Lärm, wenn sie den Sicherheitstross der Mächtigen von A nach B begleiteten. Mächtige, die alle Strassen aus dem Nichts sperrten und uns Fussvolk zum Ausharren verdonnerten, bis der Spuk vorbei war. Auch diese Kräfte benutzten den Lärm der Sirenen als Symbol der Macht. Später setzten sie das Ausgehverbot mit Schlagstöcken durch.

Du Trychler, Trychlerin wirst am 28. November an die Urne gehen. Du wirst deine Freundinnen und Freunde mobilisieren, es dir gleich zu tun. Da habe ich keine Zweifel. Es ist dein gutes Recht. Aber in deinem Lärm könnte dir etwas Wichtiges entgehen: Es gibt in diesem Land auch viele Menschen, die wie ich glauben, dass Kuhglocken auf die Alpweiden gehören. Dass Gesslers Hut und auch die Armbrust Mythen sind. Vor allem aber: dass gute Argumente nicht laut sein müssen, um gehört zu werden. Ich meine, wir Leisen und vielleicht auch ein wenig Verunsicherten laufen Gefahr, der Urne fernzubleiben, weil wir müde sind.

Müde von eurem Getöse, müde von der aufgeladenen Stimmung, müde von dem lähmenden Schwarzweissdenken. Müde auch von all den Verleumdungen. Das ist eure Chance. Darum raffe ich mich auf und gehe doch an die Urne. Damit ihr es so vielleicht versteht: Ihr macht den lauteren Lärm. Aber ihr trychelt nicht in meinem Namen.

Waldemar Krupski

«Ich bin EXIT-Mitglied, weil … »

ich nicht darauf vertraue, dass eine höhere Macht nach mir ruft, wenn die Zeit gekommen ist. Und weil ich mich auf das Unvermeidliche vorbereiten will, mir alle zur Verfügung stehende Optionen offen halten will. Und weil ich dankbar bin, einem Land zuzugehören, welches seinen Bürgern auch ihre letzte Wahl zugesteht.

Ich bin 55 Jahre alt. Mit 55, sagt mir die Statistik, gehören ca. 2/3 der Lebenszeit bereits der Vergangenheit an, 1/3 noch der Zukunft. Verbleiben rechnerisch also noch 29 Jahre, bis ich den statistischen Wert der Lebenserwartung von in der Schweiz lebenden Männern erreicht habe. Gefühlt eine halbe Ewigkeit.

Mein Vater liess sich mit 55 Jahren pensionieren, auch weil er dachte, mit 65 sei sein Ende nah. Das sei so in seiner «DNA festgesetzt». Mehr wurde «darüber» nicht gesprochen. Er lebte noch 21 Jahre weiter. Davon knapp 20 bei guter Gesundheit. Trotzdem haderte er mit seinem Los, als der Sensemann vor seiner Türe stand.

Meine Mutter wurde 91 Jahre alt. Die letzten vier Jahre verbrachte sie in einem Altersheim in einer geschützten Wohngruppe für demenzkranke Menschen. Die wenigen Male, die ich dort zu Besuch war (ich lebte damals mit meiner Familie in Neuseeland), liessen mich immer traurig und ratlos zurück. «Ach, wann kommt er (der liebe Gott) mich endlich holen?» Sie sagte es als Aufforderung, weniger als Frage. Immer belastete mich die Frage: Ist das noch ein lebenswertes Leben? Und wem steht es zu, das zu beurteilen? Nur den Betroffenen? Aber was, wenn Instanzen entscheiden, weil Betroffene selbst nicht mehr entscheiden können? Der Nachruf von meiner Mutter beginnt mit dem Satz: «Das Herz vom Mämsli hat aufgehört zu schlagen. Endlich, lange schon hat sie geduldig darauf gewartet“.

Meine Schwiegermutter erfuhr am 24. Dezember, als sie bei uns zu Besuch weilte, dass sie Leberkrebs im fortgeschrittenen Stadium hat. Meine Frau, ihre Tochter, drängte sie an diesem Tag zum Arztbesuch, weil es ihr sichtlich nicht gut ging. Weil wir alle nicht wirklich an Wunder glauben, wussten wir auch, dass es unsere letzten gemeinsamen Weihnachten sein werden. Ja, sie hätte uns gerne noch ein paar Jahre begleitet. Hätte gerne noch erlebt, welchen Weg ihre Grosskinder dereinst einschlagen werden. Und wir alle hätten sie noch sehr gerne etwas länger bei uns gehabt. Die letzten Tage verbrachte sie in einem Hospiz, und ich erinnere mich, wie sie ihrer Tochter sagte: «Informiere bitte EXIT, dass ich da bin.» «Du brauchst EXIT nicht, Mama, es wird schon bald soweit sein», war ihre Antwort. Drei Wochen nach der Diagnose ist sie gestorben. In ihrer Wohnung war ein Ordner hinterlegt, wo sie alles notiert hatte, was es zu tun gibt und was bitte zu unterlassen sei. Sie bleibt mir ein Vorbild. Ihr Ehemann starb 32 Jahre früher, 1983. Schwer erkrankt an Multipler Sklerose, mit Hilfe von EXIT. Meine Schwiegereltern gehörten damals in Zürich zu den Gründungsmitgliedern des Vereins.

Ich schreibe dies, weil meine Eltern und Schwiegereltern stellvertretend für verschiedene Möglichkeiten stehen, wie man sich aus dem Leben verabschiedet. Sagt das Sterben auch etwas über unser Leben aus? Weil ich mir über solche und ähnliche Fragen Gedanken mache, bin ich seit 30 Jahren Mitglied bei EXIT. Damals, als ich meine Frau im protestantischen Zürich kennen lernte, war vielleicht auch ein Anteil Abgrenzung zum Elternhaus und zum katholischen Kanton Uri mitverantwortlich für dem Beitritt zum Verein. Gezweifelt, dass es die richtige Entscheidung für mich ist, habe ich noch nie. Im Gegenteil. Meine Mitgliedschaft beim Verein EXIT fordert mich, über meinen letzten statistischen Lebensdrittel nachzudenken. Über das Leben! Mehr als über den Tod.

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Wenn guter Rat online kommt

Waldemar Krupski berät Schweier Familien mit Pflegekimndern, besonder solche in abgelegenen Regionen. Er selbst wohnt auch nicht um die Ecke, sondern in Dakar. Dank Internet spielt sein Arbeitsort keine Rolle mehr.


Dakar, Senegal. Es ist heiss und stickig, auf den sandigen Strassen kämpfen Autos, vollgestopfte Busse, Pferdekarren, Händler und Fussgänger um jeden Zentimeter. Am Rand liegen Schafe, eine Frau verkauft auf einem wackligen Holztisch Gemüse, nebenan flattert Wäsche im Wind. Waldemar Krupski ist auf dem Weg nach Hause. Der Urner lebt seit einem Jahr in der Vier-Millionen-Stadt.

Wo sich Dakar und das Luzerner Seetal treffen 

Rain im Luzerner Seetal. Der Hof der Familie Schüpfer liegt weit weg von der Stadt. Die Nachbarn sieht man kaum. In der Ferne erkennt man den Pilatus. Es ist ruhig, sogar von den 6500 Hühnern, die zum Hof gehören, ist kaum ein Gackern zu vernehmen. Schön geordnet reiht sich Birnbaum an Birnbaum. Die Kinder holen gerade selbstgemachten Most.

Andere Sichtweise

Obwohl die zwei Welten, in denen die Familie Schüpfer und Waldemar Krupski leben, so verschieden sind, sind sie eng miteinander verknüpft. Krupski ist der Supervisor der Familie, die seit 15 Jahren Pflegekinder aufnimmt. Sie sind regelmässig online in Kontakt.

Für das Pflegekind ist ein Sozialpädagoge verantwortlich, der einmal in der Woche vorbeikommt. Bei Krupski stehen für einmal die Eltern im Mittelpunkt. «Man nimmt sich bewusst Zeit, über sich und sein Umfeld zu reden», sagt Urs Schüpfer. Wie kommt eine Bauernfamilie aus Luzern dazu, sich von Senegal aus beraten zu lassen? Krupski wurde ihnen von der Firma Subito, welche die Pflegekinder platziert, empfohlen. Urs Schüpfer war von der Idee des Online-Coachings sofort begeistert, obwohl er «kein Computer-Typ» sei. Ein Berater aus Senegal schaue ein Problem anders an als einer, der gleich nebenan wohne, ist er überzeugt.

 «Online muss man alles genau erklären und das allein bringt schon einen Prozess in Gang», sagt Irène Schüpfer.  Die Technik sei zwar ungewohnt, aber sie vereinfache vieles. Man öffne sich schneller und gebe mehr Preis als in einem herkömmlichen Gespräch.

Wer sich online beraten lässt, kann dies in den eigenen vier Wänden tun. Ein entscheidender Vorteil. Für Bauern wie die Schüpfers wäre es fast unmöglich, jedes Mal zu einem Coach zu fahren. Dasselbe gilt für die anderen Familien, die Waldemar Krupski betreut. Sie leben verstreut in der ganzen Schweiz, nicht immer gibt es Angebote in ihrer Nähe. «Der Online-Berater in Senegal ist besser erreichbar als ein Coach in der Schweiz», sagt Julia Kapp, Geschäftsführerin von «Subito». «Es spielt keine Rolle, wo Waldemar Krupski ist, diese Methode funktioniert von überall her.» Trotzdem ist sie froh, ihn persönlich zu kennen. Er ist mit ihrer Arbeit vertraut und zieht am gleichen Strick.

Problem visuell darstellen

Krupski verwendet ein Programm, das speziell für Online-Coaching entwickelt wurde. Seine Klienten können wählen, ob sie mit ihm sprechen wollen – mit oder ohne Video - oder ob sie schriftlich kommunizieren möchten. Mit Hilfe von Landschaften und Figuren visualisieren sie zudem ihr Anliegen. Diese Form ist ausdrucksstark, es kann sein, dass sich in einer Eislandschaft Teufel und Pirat begegnen.

Krupski ist von der Methode so überzeugt, dass er andere Fachpersonen im Online-Coaching ausbilden möchte, vor allem in der Jugendarbeit. Will man die Jungen dort abholen, wo sie sind, muss man ins Internet. «Bei herkömmlichen Angeboten ist bereits viel Geschirr zerschlagen, bis sich Jugendliche Hilfe suchen», sagt Krupski. Könnten sie sich online melden, würden sie sich früher beraten lassen.

Unkompliziert und niederschwellig

Beratungen und Therapien, die online durchgeführt werden, sind im Aufwind. Gemäss der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP) gibt es Berater, die auf einzelne Formen wie Mail, Chat oder Video setzen. Andere wie Krupski verwenden ein spezielles Programm. Während gewisse Angebote eine Face-to-Face Beratung ergänzen, werden andere ausschliesslich online durchgeführt.

«Die Online-Optionen sprechen auch Personen an, die sonst keine Beratung in Anspruch nehmen würden, weil sie sich schämen oder an einem abgelegenen Ort wohnen», sagt Jean-Baptiste Mauvais, Projektleiter des FSP-Projekts «Onlineinterventionen». Die Kontaktaufnahme sei unkompliziert und niederschwellig. Wichtig sei, einen seriösen Berater oder Therapeuten zu finden, der auch den Datenschutz respektiere. An ihre Grenzen stosse die Online-Beratung bei akuten Krisen, so Mauvais. Dann könne vielleicht nicht angemessen reagiert werden.

So wirksam wie herkömmliche Beratung

Einige Therapeuten bleiben trotzdem skeptisch. Sie zweifeln daran, ob die Angebote etwas nützen. «Studien haben aber gezeigt, dass Online-Beratungen und Therapien genauso wirksam sind wie Face-to-Face-Angebote», sagt Hansjörg Künzli, Leiter Beratung, Training und Führung am Departement Angewandte Psychologie ZHAW. Ist es schwieriger, eine Beziehung zwischen Klienten und Berater aufzubauen, wenn sie sich nicht persönlich gegenübersitzen? Auch das verneint Künzli. «Menschen können Beziehungen auf Distanz eingehen, die Frage ist nur, wie engagiert sie von beiden Seiten gestaltet werden.» Aber natürlich gebe es Personen, die damit nichts anfangen könnten. Herkömmliche Berater haben anfangs Mühe, weil sie nicht mehr intuitiv arbeiten können und die Körpersprache ihrer Klienten nicht sichtbar ist. Aber es werden andere Methoden entwickelt, um das Gegenüber besser zu verstehen.

Auf vier Kontinenten gelebt

Als Krupski vor drei Jahren zum ersten Mal von Online-Coaching hörte, war er genauso skeptisch wie seine Kollegen. Der Sozialpädagoge und Familienberater erlebt Menschen gerne in ihrem Umfeld. «Aber dann hat es mir den Ärmel reingenommen.» Die Beratungen fordern seine ganze Konzentration, die Sinne sind geschärft.

Hinzu kommt, dass die Online-Beratung perfekt zu seinem Lebensstil passt. Seine Frau arbeitet im diplomatischen Dienst. Krupski kümmert sich neben seinen Coachings um die drei Kinder. Alle paar Jahre zieht die Familie an einen neuen Ort. In den vergangenen Jahren haben sie auf vier Kontinenten gelebt, von Washington über Neuseeland bis Berlin. Und nun Dakar. Aber ein Nomade, nein, das sei er nicht, betont der 54-Jährige. Seine Familie lebt seit Generationen in der Innerschweiz, Zürich war für ihn als Kind unvorstellbar weit weg. Erst mit 17 Jahren war er einmal im Ausland, mit 21 Jahren sass er zum ersten Mal in einem Flugzeug. «Ich bin immer noch ein Bergler, ein Urner. Obwohl ich lange weg bin, bin ich in der Schweiz verankert.»

Sein Beratungsstil hat sich in Afrika nicht verändert. Aber der Aufenthalt prägt ihn. Er ist gelassener geworden, entschleunigter.  Durch die Distanz sieht er Probleme in der Schweiz mit anderen Augen.

Schliesst er die Türe zu seinem Büro, lässt er das chaotische Treiben Dakars draussen.

«Egal, wo ich bin, ich kann mich in die Welt meiner Klienten versetzen.» Er trifft sich mit Irène und Urs Schüpfer, die gerade im Seetal vor dem Laptop sitzen. Nur die Palmen vor dem Fenster erinnern daran, wo er wirklich ist.


Text und Bilder: Katja Müller, Dakar/Rain

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Abschiednehmen, Loslassen und Vorfreude auf Neues

Waldemar Krupski | Leben, arbeiten und wohnen auf verschiedenen Kontinenten

Seit gut einem Monat lebt Familie Krupski samt Kater Ferdinand in Senegal. Der Umzug von Berlin nach Dakar war nicht nur logistisch eine Herausforderung.

Doris Marty


„Lieber zinsen als zügeln“, besagt eine bekannte Redensart. Der Umzug aus der gewohnten Umgebung ist meistens mit vielen Emotionen, aber auch mit viel Arbeit verbunden. Für wieder andere ist es ein willkommener Neuanfang. Die Gründe, die zu einem Umzug führen, sind vielfältig: eine grössere oder eine kleinere Wohnung, näher beim Arbeitsort sein, eine Trennung, Zusammenziehen in eine Partnerschaft oder Wohngemeinschaft. Der Altdorfer Waldemar Krupski und seine Familie zügeln regelmässig. So im Schnitt alle drei bis vier Jahre. Und wenn sie umziehen, dann meist auf einen anderen Kontinent. Waldemar Krupskis Frau, Marion Weichelt Krupski, ist Schweizer Botschafterin. Bern, Washington DC, wieder Bern, Wellington und Berlin. Dies waren die Wohnorte in den vergangenen Jahren. Nun hat die Familie mit ihren drei Kindern im Alter von zwölf bis 16 Jahren samt Kater Ferdinand erneut ihre Koffer gepackt und ist von Berlin nach Dakar gezogen. Der afrikanische Staat Senegal wird in den nächsten Jahren der neue Wohn-, Arbeits- und Schulort sein.

„Ja, wir wollen!“

Im Sommer vor einem Jahr ernannte der Bundesrat Marion Weichelt Krupski per Sommer 2017 zur Botschafterin für Senegal, Mali, Mauretanien, Gambia, Guinea-Bissau und die Kapverden. „Lange und manchmal auch etwas verzweifelte Diskussionen sind dieser Versetzungsrunde vorausgegangen „, erklärt Waldemar Krupski. „Als die Kinder noch klein waren, war es um einiges einfacher. Inzwischen sind die Kinder grösser und werden auch in die Entscheidungen miteinbezogen.“ Ein besonderes Kriterium ist dabei die Schule. Die Kinder Kasimir, Janina und Nikolai besuchten jeweils die Internationale Schule, in der vorwiegend in Englisch unterrichtet wird. „Ich wäre gerne in die Schweiz zurückgegangen, die Kinder wollten hingegen unbedingt noch einmal ins Ausland“, sagt Waldemar Krupski. Ein sonniges und warmes Land war ihre Vorgabe, die sie an ihre Eltern stellten. „Doch alles, was meine Frau beruflich interessiert hätte, kam für die Kinder und mich nicht infrage „, erinnert sich Waldemar Krupski. So bewarb sich seine Frau für Kompromisslösungen, also Posten, welche die Bedürfnisse der Familie und ihre beruflichen Ambitionen einigermassen abdeckten. Mit dieser Ausgangslage fuhr die Familie vor einem Jahr in die Sommerferien. Auf dem Weg an den Strand zum kristallklaren Wasser der kroatischen Küste kam dann der überraschende Telefonanruf. „Der Staatssekretär liess meine Frau Marion anfragen, ob sie interessiert sei, nach Senegal zu gehen. Schnell erkundigten wir uns, ob es eine englischsprachige Schule in Dakar gibt. Nach einer kurzen Recherche starteten wir eine Fragerunde.“ Kasimir, der älteste Sohn, sagte schnell zu. (Erst später fanden die Eltern heraus, wieso er so schnell war: Senegal ist eine der Topdestinationen für Sportfischerei). Und da am künftigen Wohnort das Meer nahe ist und auch die Senegalesen Fussball lieben, sagten Janina und der jüngste Sohn Nikolai ebenfalls zu. „Nach zwei weiteren Tagen Bedenkzeit meinerseits meldeten wir nach Bern: ‚Ja, wir wollen!‘ “

Vorerst in einem Miethaus

Afrika ist eine alte Liebe von Marion und Waldemar Krupski. Mauretanien und Mali kennen sie von ihrer Hochzeitsreise, die anderen Länder nur von der Landkarte. „Um unser künftiges Zuhause besser kennenzulernen, entschlossen wir uns kurzfristig, in den Herbstferien in den Senegal zu reisen, um einen ersten Eindruck zu erhalten.“ Auf dem Programm stand unter anderem ein Besuch der künftigen Schule für die Kinder und des neuen Wohnorts. Die Botschaftsresidenz hat einen alten, grossen Garten. „In diese werden wir aber vorerst nicht einziehen, weil dort vorübergehend die Büros einquartiert sind, damit das Kanzleigebäude saniert werden kann. Erst wenn dieses fertig ist, wird unser künftiges Zuhause renoviert. Gemäss Planung werden wir wohl die ersten zwei Jahre noch in einem Miethaus wohnen und danach nochmals umziehen müssen“, bedauert Waldemar Krupski. Dakar mit seinen vielen jungen Menschen hat die Familie Krupski beeindruckt: „Noch nie habe ich ein so sportliches Volk gesehen. Am Strand wird gejoggt, werden Liegestützen gemacht, die zahlreichen Open-Air-Fitnessgeräte rege benutzt, wird Fussball gespielt, gefischt, gesurft und geschwommen. Und es gibt wunderbare Restaurants direkt am Strand, auch der Fischmarkt lässt keine Wünsche übrig.“

Skier werden eingelagert

Bereits Monate und Wochen vor dem Umzug gab es besonders für Botschaftergatte und Hausmann Waldemar Krupski noch einiges zu organisieren. Eine Mietwohnung in Dakar musste gefunden werden, das Auto wurde verkauft und von Berlin aus ein neues in Dakar gekauft, Versicherungen mussten gekündigt und wieder neu abgeschlossen werden, Informationen über das Gesundheitssystem und die -versorgung, und, und, und ... Auch logistisch gab es einiges zu entscheiden und koordinieren. Der gesamte Haushalt für die See- und Luftfracht oder für das, was in der Schweiz bleibt, musste bereitgestellt und inventarisiert werden. „Unsere Skier werden wir im Senegal bestimmt nicht brauchen, sie werden zwischengelagert. Natürlich gibt es Zügelleute, die mithelfen. Dennoch, der ganze Wechsel ist extrem anstrengend. Die grösste Leistung kommt aber von unseren Kindern. Sie meistern die grosse Herausforderung mit dem Wechsel jeweils mit Bravour. Auch wenn sie eine Internationale Schule besuchen, das Schulsystem ist immer wieder anders.“ Auch das Abschiednehmen am alten Ort ist nicht einfach. „Der letzte Schultag, das letzte Fussball- oder Schwimmtraining, das schmerzt schon! Gleichzeitig prägt uns alle das Abschiednehmen und Loslassen und macht uns ‹gluschtig› auf das Neue, das vor uns liegt.“

Noch zu früh, heimzukommen

Vor Kurzem hat Waldemar Krupski seine dreijährige Weiterbildung zum Familientherapeut/Familienberater abgeschlossen. „Die Erfahrungen als Diplomatengatte und Familienberater helfen mir in meiner Arbeit als Onlinecoach“, stellt Waldemar Krupski fest. „Menschen zu unterstützen, auch wenn sie weit weg sind, ist dank moderner Technologie möglich. Es ist ein toller Job und eine ideale Ergänzung zu meiner Haupttätigkeit als Hausmann, Vater und Begleitperson.“ Uri und vor allem Altdorf haben für Waldemar Krupski eine ganz besondere Bedeutung. „Hier blühe ich auf. Meine Wurzeln und meine Heimat schätze ich sehr, allerdings wäre es für mich noch verfrüht, heimzukommen. Auch wenn es manchmal anstrengend ist, die alten Zelte abzubrechen und neu anzufangen: Langweilig wird es mir nie, und ich bin dankbar, immer wieder Neues lernen und entdecken zu dürfen, das mich jeden Tag wieder neu herausfordert.“

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Buben brauchen Väter, Mädchen auch!

Ein Gespräch mit Waldemar Krupski, Vollzeitvater, Hausmann und Begleitperson


Wie verliefen Ihre ersten Monate als Vollzeitvater?

Die ersten Monate als Vollzeitvater waren - obwohl ich seit der Geburt meines ersten Kindes Teilzeit gearbeitet hatte - schwierig. Ich erinnere mich nur zu gut, wie gerne ich mit Marion die Rolle getauscht hätte. Mir wäre es leicht gefallen, frühmorgens Familie und Hotelzimmer zu verlassen, um abends wieder „nach Hause zu kommen“. Für sie aber war es schwer, sich von den Kindern zu verabschieden, besonders von Janina, die damals gerade mal 4 Monate alt war. Abends, als Marion nach Hause kam, war ich oft frustriert, ausgelaugt, wollte nur noch „abgeben“ und Zeit für mich in Anspruch nehmen. Fragen quälten mich: Was mache ich eigentlich den ganzen Tag? Mit wem kann ich reden? Wer sucht den Kontakt zu mir? Und ich stellte fest: Mich ruft niemand mehr an und keiner fragt mich um Rat. Ich erhalte keine Lohnabrechnung mehr. Zum Mittagessen lädt mich niemand mehr ein. Bin ich so uninteressant geworden? Warum fühle ich mich einsam? Wie schaffen das all die Mütter, ohne (hörbar) zu klagen und sich zu beschweren? Das alles hat an meinem Selbstwertgefühl gekratzt und Anlass zur Eifersucht gegeben. Eifersucht ist unschön und wenig partnerschaftlich. Dem Gegenüber auch nicht ganz einfach zu erklären.

Was ist geblieben, was hat sich seit der Anfangszeit verändert?

Heute stehe ich an einem andern Punkt, auch wenn die „Sisyphusarbeit“ bestehen bleibt: Kinder füttern, Kinder wickeln, Kindern hinterher- putzen, Waschtag, Putztag, Spaghettitag, Fischtag. Das ist manchmal zermürbend. Manchmal mache ich mir gar Sorgen, den Anschluss nie mehr zu kriegen, zu verblöden. Was sich aber verändert hat, ist meine Grundeinstellung. Ich habe akzeptiert, dass ich die nächsten Jahre Vollzeitvater sein werde. Mehr noch, eine Bewusstseinsveränderung hat stattgefunden. Ich lerne, mich nicht mehr so wichtig zu nehmen, auch mal nur die Nummer zwei zu sein. Mann kriegt nicht alles unter eine Decke, es gibt Abstriche, auch solche, die weh tun. Zum Beispiel von der Gesellschaft kaum mehr wahrgenommen zu werden. Mann wird reduziert auf Hausmann und Begleitperson. Und doch, ich bin heute glücklicher, zufriedener, ausgeglichener als in den kinderlosen Jahren.

Haben Sie Ihren Schritt jemals bereut?

Nein, richtig bereut nicht. Auch wenn die Beschreibung der ersten Monate einen anderen Eindruck erwecken mag. Übers Ganze gesehen lebe ich privilegiert. Die Erfahrungen, die ich als Vollzeitvater machen kann, bleiben vielen Vätern verwehrt. Ich darf die rasante Entwicklung meiner beiden Kinder miterleben. Die ersten Schritte von Janina, die ersten englischen Worte von Kasimir, sein erster Sturz von der Leiter auf dem Spielplatz. Das prägt, das formt Beziehungen. Ist einzigartig, nicht nachholbar. Das Bild vom grossen Bruder, der auf dem Weg in den Kindergarten seine kleine Schwester erstmals an der Hand führt. Das sind unglaublich starke Momente, die mich als Vater zigmal entschädigen. Momente, die mich mit sehr viel Stolz erfüllen. Natürlich kann ich das Erlebte abends meiner Frau erzählen. Sie wird es in den nächsten Tagen auch beobachten können. Der Moment liegt aber zurück, liegt in der Vergangenheit, ist eben unwiderruflich, passé! Nein, heute würde ich nicht mehr sofort mit Marion tauschen.

Wie reagieren andere Väter auf Sie? Herrscht „verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre“?
Die Reaktionen sind unterschiedlich. Sie gehen von Null-Reaktion, im Sinne von geht mich nichts an, interessiert mich nicht, bis zur ehrlich gemeinten, echten Wertschätzung meiner Arbeit. Oft sagen die Männer, genau so ehrlich, genau so spontan: „Das könnte ich nie, ich würde das nicht schaffen. Ich bin jeweils heilfroh, kann ich wieder arbeiten gehen.“ Vielleicht sagen das auch die Teilzeit arbeitenden Väter. Mich freut es, dass sie auch im EDA - wenn auch nicht zahlreich - vertreten sind. Für mich sind sie Vorbilder und Lichtblicke zugleich. Ihnen gehört mein Respekt. Sie wissen, was es bedeutet, zurückzustehen, zu verzichten, oft grosse Kompromisse einzugehen. Auch auf unnötige Hindernisse zu stossen. Sie wissen, dass sich das Vater sein nicht delegieren lässt. Mühe habe ich mit den Männern und Vätern, die mir sagen, dass sie gerne mit mir tauschen würden (von berufstätigen Müttern höre ich das nie). Ich habe den Eindruck, dass sie zum Idealisieren neigen, wenig Ahnung davon haben, was sie eben gesagt haben. Sie haben ihre Prioritäten gesetzt, für den Job. Es sind „Lippenbekenner“, oder, wie Sie es ausdrücken, „verbal Aufgeschlossene bei weitgehender Verhaltens- starre“. Kommen sie nach einem anstrengenden Arbeitstag nach Hause, nehmen sie ihre Kinder am liebsten gefüttert, frisch gewickelt und fein duftend in die Arme, um anschliessend mit ihnen noch ein paar Klötzlein aufeinander zu stellen und ein Gute-Nacht-Lied zu singen. Solche Sonntagsväter haben wenig Ahnung davon, wie es sich anfühlt, sieben Tage die Woche für die Kinder und den Haushalt da zu sein. Für sie ist es schwer nachzuvollziehen, was für ihre Frauen bei den doch so herzigen Kindern so frustrierend sein kann.

Wer weiss, eines Tages vielleicht - lassen sie mich kurz träumen -, wirken sich erworbene Erfahrungen als „stay at home daddy“ karrierefördernd aus, so, wie sich früher Abwesenheiten für die militärische Karriere auch im Beruf auszahlten. Der Titel des Interviews würde dann wohl heissen: Buben haben Väter, Mädchen auch!

Die Fragen stellte: BEL

Zur Person
Waldemar Krupski ist im Kanton Uri aufgewachsen und absolvierte dort auch die Lehre als Elektromonteur. Anschliessend war er fünf Jahre als Seilbahntechniker auf Montage. Mit 25 Jahren zog es das „Urner Land-ei“ (Zitat) in die Stadt Zürich, wo er erst als Computer-Techniker eine Stelle fand, dann aber die höhere Berufsprüfung und anschliessend die Meisterschule in seinem angestammten Beruf machte. Mit 34 Jahren entschloss er sich zur berufsbegleitenden Ausbildung als Sozialarbeiter/Sozialpädagoge an der Fachhochschule Zürich. Bis zur Versetzung seiner Frau arbeitete er Teilzeit bei der Sozial- und Personalberatung der Bundesverwaltung in Bern.

Seit einem Jahr lebt Waldemar Krupski mit seinen zwei Kindern Kasimir, bald 3-jährig, und Janina, 16 Monate alt, und seiner Frau Marion Weichelt in Washington DC. Er ist Vollzeitvater, Hausmann und „Begleitperson“.

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