Wenn guter Rat online kommt

Waldemar Krupski berät Schweier Familien mit Pflegekimndern, besonder solche in abgelegenen Regionen. Er selbst wohnt auch nicht um die Ecke, sondern in Dakar. Dank Internet spielt sein Arbeitsort keine Rolle mehr.


Dakar, Senegal. Es ist heiss und stickig, auf den sandigen Strassen kämpfen Autos, vollgestopfte Busse, Pferdekarren, Händler und Fussgänger um jeden Zentimeter. Am Rand liegen Schafe, eine Frau verkauft auf einem wackligen Holztisch Gemüse, nebenan flattert Wäsche im Wind. Waldemar Krupski ist auf dem Weg nach Hause. Der Urner lebt seit einem Jahr in der Vier-Millionen-Stadt.

Wo sich Dakar und das Luzerner Seetal treffen 

Rain im Luzerner Seetal. Der Hof der Familie Schüpfer liegt weit weg von der Stadt. Die Nachbarn sieht man kaum. In der Ferne erkennt man den Pilatus. Es ist ruhig, sogar von den 6500 Hühnern, die zum Hof gehören, ist kaum ein Gackern zu vernehmen. Schön geordnet reiht sich Birnbaum an Birnbaum. Die Kinder holen gerade selbstgemachten Most.

Andere Sichtweise

Obwohl die zwei Welten, in denen die Familie Schüpfer und Waldemar Krupski leben, so verschieden sind, sind sie eng miteinander verknüpft. Krupski ist der Supervisor der Familie, die seit 15 Jahren Pflegekinder aufnimmt. Sie sind regelmässig online in Kontakt.

Für das Pflegekind ist ein Sozialpädagoge verantwortlich, der einmal in der Woche vorbeikommt. Bei Krupski stehen für einmal die Eltern im Mittelpunkt. «Man nimmt sich bewusst Zeit, über sich und sein Umfeld zu reden», sagt Urs Schüpfer. Wie kommt eine Bauernfamilie aus Luzern dazu, sich von Senegal aus beraten zu lassen? Krupski wurde ihnen von der Firma Subito, welche die Pflegekinder platziert, empfohlen. Urs Schüpfer war von der Idee des Online-Coachings sofort begeistert, obwohl er «kein Computer-Typ» sei. Ein Berater aus Senegal schaue ein Problem anders an als einer, der gleich nebenan wohne, ist er überzeugt.

 «Online muss man alles genau erklären und das allein bringt schon einen Prozess in Gang», sagt Irène Schüpfer.  Die Technik sei zwar ungewohnt, aber sie vereinfache vieles. Man öffne sich schneller und gebe mehr Preis als in einem herkömmlichen Gespräch.

Wer sich online beraten lässt, kann dies in den eigenen vier Wänden tun. Ein entscheidender Vorteil. Für Bauern wie die Schüpfers wäre es fast unmöglich, jedes Mal zu einem Coach zu fahren. Dasselbe gilt für die anderen Familien, die Waldemar Krupski betreut. Sie leben verstreut in der ganzen Schweiz, nicht immer gibt es Angebote in ihrer Nähe. «Der Online-Berater in Senegal ist besser erreichbar als ein Coach in der Schweiz», sagt Julia Kapp, Geschäftsführerin von «Subito». «Es spielt keine Rolle, wo Waldemar Krupski ist, diese Methode funktioniert von überall her.» Trotzdem ist sie froh, ihn persönlich zu kennen. Er ist mit ihrer Arbeit vertraut und zieht am gleichen Strick.

Problem visuell darstellen

Krupski verwendet ein Programm, das speziell für Online-Coaching entwickelt wurde. Seine Klienten können wählen, ob sie mit ihm sprechen wollen – mit oder ohne Video - oder ob sie schriftlich kommunizieren möchten. Mit Hilfe von Landschaften und Figuren visualisieren sie zudem ihr Anliegen. Diese Form ist ausdrucksstark, es kann sein, dass sich in einer Eislandschaft Teufel und Pirat begegnen.

Krupski ist von der Methode so überzeugt, dass er andere Fachpersonen im Online-Coaching ausbilden möchte, vor allem in der Jugendarbeit. Will man die Jungen dort abholen, wo sie sind, muss man ins Internet. «Bei herkömmlichen Angeboten ist bereits viel Geschirr zerschlagen, bis sich Jugendliche Hilfe suchen», sagt Krupski. Könnten sie sich online melden, würden sie sich früher beraten lassen.

Unkompliziert und niederschwellig

Beratungen und Therapien, die online durchgeführt werden, sind im Aufwind. Gemäss der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP) gibt es Berater, die auf einzelne Formen wie Mail, Chat oder Video setzen. Andere wie Krupski verwenden ein spezielles Programm. Während gewisse Angebote eine Face-to-Face Beratung ergänzen, werden andere ausschliesslich online durchgeführt.

«Die Online-Optionen sprechen auch Personen an, die sonst keine Beratung in Anspruch nehmen würden, weil sie sich schämen oder an einem abgelegenen Ort wohnen», sagt Jean-Baptiste Mauvais, Projektleiter des FSP-Projekts «Onlineinterventionen». Die Kontaktaufnahme sei unkompliziert und niederschwellig. Wichtig sei, einen seriösen Berater oder Therapeuten zu finden, der auch den Datenschutz respektiere. An ihre Grenzen stosse die Online-Beratung bei akuten Krisen, so Mauvais. Dann könne vielleicht nicht angemessen reagiert werden.

So wirksam wie herkömmliche Beratung

Einige Therapeuten bleiben trotzdem skeptisch. Sie zweifeln daran, ob die Angebote etwas nützen. «Studien haben aber gezeigt, dass Online-Beratungen und Therapien genauso wirksam sind wie Face-to-Face-Angebote», sagt Hansjörg Künzli, Leiter Beratung, Training und Führung am Departement Angewandte Psychologie ZHAW. Ist es schwieriger, eine Beziehung zwischen Klienten und Berater aufzubauen, wenn sie sich nicht persönlich gegenübersitzen? Auch das verneint Künzli. «Menschen können Beziehungen auf Distanz eingehen, die Frage ist nur, wie engagiert sie von beiden Seiten gestaltet werden.» Aber natürlich gebe es Personen, die damit nichts anfangen könnten. Herkömmliche Berater haben anfangs Mühe, weil sie nicht mehr intuitiv arbeiten können und die Körpersprache ihrer Klienten nicht sichtbar ist. Aber es werden andere Methoden entwickelt, um das Gegenüber besser zu verstehen.

Auf vier Kontinenten gelebt

Als Krupski vor drei Jahren zum ersten Mal von Online-Coaching hörte, war er genauso skeptisch wie seine Kollegen. Der Sozialpädagoge und Familienberater erlebt Menschen gerne in ihrem Umfeld. «Aber dann hat es mir den Ärmel reingenommen.» Die Beratungen fordern seine ganze Konzentration, die Sinne sind geschärft.

Hinzu kommt, dass die Online-Beratung perfekt zu seinem Lebensstil passt. Seine Frau arbeitet im diplomatischen Dienst. Krupski kümmert sich neben seinen Coachings um die drei Kinder. Alle paar Jahre zieht die Familie an einen neuen Ort. In den vergangenen Jahren haben sie auf vier Kontinenten gelebt, von Washington über Neuseeland bis Berlin. Und nun Dakar. Aber ein Nomade, nein, das sei er nicht, betont der 54-Jährige. Seine Familie lebt seit Generationen in der Innerschweiz, Zürich war für ihn als Kind unvorstellbar weit weg. Erst mit 17 Jahren war er einmal im Ausland, mit 21 Jahren sass er zum ersten Mal in einem Flugzeug. «Ich bin immer noch ein Bergler, ein Urner. Obwohl ich lange weg bin, bin ich in der Schweiz verankert.»

Sein Beratungsstil hat sich in Afrika nicht verändert. Aber der Aufenthalt prägt ihn. Er ist gelassener geworden, entschleunigter.  Durch die Distanz sieht er Probleme in der Schweiz mit anderen Augen.

Schliesst er die Türe zu seinem Büro, lässt er das chaotische Treiben Dakars draussen.

«Egal, wo ich bin, ich kann mich in die Welt meiner Klienten versetzen.» Er trifft sich mit Irène und Urs Schüpfer, die gerade im Seetal vor dem Laptop sitzen. Nur die Palmen vor dem Fenster erinnern daran, wo er wirklich ist.


Text und Bilder: Katja Müller, Dakar/Rain

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