Dusselig fühle ich mich im Kopf, umgeben von einer „Wolke“. Nicht munter. Nicht fit. Eher so, als hätte ich am Vorabend viel zu tief ins Glas geschaut. Habe ich aber nicht! Und doch fühle ich mich schon seit Tagen so. Mal etwas mehr, mal etwas weniger. Heute aber viel mehr. So viel mehr, dass ich mit dem Fahrrad beängstigend unsicher unterwegs bin. Ich bin irritiert. Kann die Distanz der herannähernden Autos schlecht einschätzen. Reicht es noch über die Kreuzung? Habe ich genügend Abstand vom Randstein? „Na komm schon, reiss dich zusammen. Der Supermarkt ist nur noch ein paar hundert Meter entfernt. Das schaffst Du!“ sagt mir meine innere Stimme. Dort angekommen, bringt mich die Rolltreppe ins Untergeschoss. Hier unten wird es erst richtig unangenehm. Schwindel überkommt mich. So sehr, dass ich Angst kriege, wieder das Bewusstsein zu verlieren. Das wäre bereits das dritte Mal innerhalb von sieben Jahren. Mein Puls rast. In meiner Brust nistet sich etwas Beengendes ein. „Hau ab! Was immer du bist. Verpiss Dich! Dich will ich hier nicht.“ Ich fluche, ich schreie. Lautlos. Niemand nimmt Notiz von mir. Obwohl ich den Laden kenne, fällt es mir schwer, den Ausgang zu finden. Drehe ich jetzt total durch? Ich fluche innerlich ununterbrochen weiter. Befehle mir, beschimpfe mich. Es ist mein Versuch, gegen dieses „Etwas“, gegen die pure Angst zu kämpfen. Endlich bin ich draussen. Wenigstens der Schwindel lässt nach. Die Angst, die mich übermannt hat, will noch nicht weichen. Das Velo stosse ich nach Hause und schaue auf dem Weg in die Arztpraxis rein, welche sich in unserem Haus befindet. Wie immer ist sie randvoll. Statt Platz zu nehmen und Stunden zu warten, gehe ich nach oben in unsere Wohnung, ziehe Turnhose und Turnschuhe an, stecke die Kopfhörer in die Ohren und laufe los. Laufe der Angst davon. Nur, so einfach lässt sich die Angst nicht abschütteln.
Kommt Ihnen vielleicht vertraut vor, was Sie gerade lesen? Gemäss der „Behandlungseinrichtung für Angst- und Panikattacken, Berlin,“ hat jede vierte Person in ihrem Leben schon einmal an länger andauernder Angst gelitten. Bei einer UW-Leserzahl von 23´000 ergäbe das fast 6´000 Personen!
Auch wenn diese Zahl zu hoch sein mag, von mir aus 10x zu hoch, es wären immer noch 600. Und wie viele von ihnen können über ihre Ängste, über ihr Leiden nicht sprechen? Aus Scham, Unsicherheit und wahrscheinlich auch Unwissenheit. Aus gutem Grund vielleicht: Anders als bei einem Burnout, welches heute salonfähig ist und mit Leistung und überdurchschnittlichem Einsatz assoziiert wird, werden Angst- und Panikattacken zu oft totgeschwiegen. Angst gilt als Schwäche, als Unvermögen.
In den vergangenen Wochen habe ich gelernt, darüber zu sprechen, darüber zu lesen. Dem „Etwas“ habe ich ein Gesicht, einen Namen gegeben. „Roter Ampelmann, du zeigst mir, wann es Zeit ist für einen Boxenstopp, innehalten. Notwendiges von Wünschenswertem zu unterscheiden, nachjustieren. Selbst wenn ich dich nicht will – eigentlich könnte ich dir auch dankbar sein“.
Ich grüsse herzlich, noch aus der Ampelmann-Stadt
Waldemar Krupski