Das war’s  aus Wellington

10. Das wars aus Wellington.jpg

Hab und Gut ist ausgemistet, inventarisiert, in Seefracht, Luftfracht und Handgepäck aussortiert und gepackt, Boot und Autos verkauft. Der Container steht auf dem Lastwagen zum Abtransport bereit. In wenigen Tagen geht seine lange Reise über die Meere bis nach Bremerhaven los. Geht alles nach Plan, wird er in drei Monaten sein Ziel erreichen. Die Koffer stehen aufgereiht im Hauseingang bereit. Sie werden zuletzt gepackt. 1.25m3 Luftfracht plus 10 Koffer, das ist unser Besitz für die nächsten  Monate. „Für mich die beste Zeit im Leben,“ meint Marion, „wenn der Besitz auf ein paar Koffer reduziert ist. Dann fühle ich mich richtig frei.“ Demnach fühlt sich Marion bereits zum 17-mal oder im Schnitt alle 3 Jahre wieder richtig frei. Sie ist, im Gegensatz zu mir, als Zigeunerin geboren. Ich bin, in den 25 Jahren, die wir uns kennen, zwangsläufig zu einem geworden. Für unser Nomadenleben hat unser Gärtner Marty nur ein Kopfschütteln übrig. „Isn’t it tiring to move every few years somewhere else?“, ist es nicht mühsam, alle paar Jahre weiter zu ziehen? Er sieht uns nicht gerne gehen. Ihm fällt es offensichtlich schwer, uns Adieu zu sagen. Er komme, sagt er, morgen nochmals vorbei. Wetten das macht er nicht? Ich kann’s verstehen.

Marion‘s Beruf fordert von uns allen einen Preis, keine Frage. Die ersten Monate hier in Wellington waren hart. Wir kamen vom europäischen  Sommer in den südpazifischen Winter. In meiner (selektiven) Erinnerung hat es Monate nur geregnet und gestürmt. Enten schwammen auf dem Rasen, das Regenwasser konnte nicht mehr abfliessen so sehr war die Erde durchtränkt. Wegen der Renovation unseres Hauses verbrachten wir die Wintermonate im Gästehaus, zu fünft in zwei Zimmern. Schulisch wurden unsere Kinder, Kasimir damals 9-, Janina 7- und Nikolai 5-jährig, ins kalte Wasser geworfen. Ohne ein Wort Englisch, dafür mit Schuluniform. Janina im „Nonnenkostüm“, die Buben mit Krawatte, Blazer, kurze Hosen mit Kniesocken mussten mitten im neuseeländischen Schuljahr einsteigen. Damals und jetzt bin ich wieder bei unserem Gärtner, damals gab es Momente, in welchen ich mich fragte, warum ich, warum wir uns das antun? Warum ich bloss meinen  Job an den Nagel gehängt habe? Heute, einen Tag vor der Versetzungsreise nach Berlin und fast vier Jahre nachdem wir hier angekommen sind, stelle ich mir diese Frage nicht mehr. Heute denke ich darüber nach, was ich in Berlin vermissen werde. Wellesley College, die Bubenschule in Eastbourne, ganz sicher. Wellesley war ein Glücksfall für unsere beiden Buben, und wenn ich jetzt beim Schreiben an die Abschiedsszene denke, kämpfe ich wieder gegen Tränen an: Als Kasimir an seinem letzten Schultag sein Schulzimmer als erster verlässt, stehen seine Mitschüler hinter ihren Pulten auf und klatschen spontan die Hände. Nicht inszeniert, nicht geplant, von sich aus.

Was sonst wird mir fehlen? Das grosse Haus, der schöne Garten? Ferdinand, unser Strassenkater aus dem Tierheim in Wellington? Nein, der wartet bereits in Zürich bei Nonna Bea auf uns. Erst gestern haben wir mit ihm „geskyped.“ Es geht ihm bestens. Er schnurrt in die Kamera hinein. Fehlen wird mir auch das Meer. Und die grossen Fische, die darin schwimmen. Vor allem, wenn sie am Abend auf dem Speiseteller  liegen. Ja, ich werde gerne an unsere Zeit in Neuseeland  zurück denken. Mich freut‘s, dass auch meine persönliche Bilanz positiv ausfällt. Soll sie auch. Denn das Glas ist immer halb voll, nie halb leer. Und gäbe es nicht auch ein feuchtes Auge beim Adieu und auch auf Wiedersehen sagen – die vier Jahre würden sich leer anfühlen. Nicht alles ist geglückt, nein sicher nicht. Was nicht? Darüber will ich nicht schreiben. In Berlin darf ich wieder bei Null anfangen. Was für ein Privileg! Meinst Du nicht auch, Marty?

Das war’s aus Wellington. Berlin – ich freue mich.

Ich grüsse und zwinkere ihnen mit dem lachenden Auge zu.

Waldemar Krupski

Bon soir, Monsieur l’Ambassadeur

9.Yves und Waldemar.jpg

Es ist nachts um 23.30 Uhr, als es bei uns zu Hause klingelt. Früher als erwartet denke ich und gehe hinaus, um unseren Gast zu begrüssen. „Bonsoir Monsieur Yersin,  bienvenue!“. “Bonsoir  Monsieur, merci!”. “Vous parlez l’allmend,  Monsieur Yersin, n’est-ce pas?“. „ Oui, oui, pas de problème, Sie können gerne mit mir Deutsch sprechen.“  Ich bin erleichtert,  eine gemeinsame Sprache zu haben. Denn viel weiter, dies wird meinen ehemaligen Französischlehrer Robi Kuster wenig freuen, hätten meine „Franz“ nicht gereicht. So  gehen wir ins Haus, nehmen Platz in der Wohnstube,  wo sich auch Marion, meine Frau, zu uns gesellt. „Darf ich ihnen einen Gin Tonic anbieten? Den mögen sie doch, wenn ich richtig informiert bin?“ Und bevor Herr Yersin sein Erstaunen in Worte fassen kann, sagt Marion mit einem Lachen: „Für das Ausspionieren unserer Gäste ist mein Mann zuständig.“ Stimmt so! Der Name Yves Yersin sagte mir zunächst nicht viel. Kurz googlen und ich erinnerte mich wieder, dass  Yves Yersin der Schweizer Filmregisseur ist, der 1979 „Les petites fugues“ (Kleine Fluchten) gedreht hatte.  Einer der erfolgreichsten Spielfilme der Schweizer Filmgeschichte. Und dank Google erfuhr ich auch,  dass er Gin Tonic mag.  Hier war er also, Yves Yersin, und ich freute mich, fast wie der Knecht Pipi im Film  „Kleine Fluchten“ auf seinem Motorrad , dass er zur Filmpremiere seines neusten Films „Tableau Noir“ persönlich nach Wellington gekommen ist und für ein paar Nächte bei uns zu Hause logiert.  Das Eis ist gebrochen, der Gin Tonic serviert, und während wir plaudern, fällt mir auf, dass Herr Yersin oft,  ungewohnt oft, mich anspricht und mit Marion ab und zu höflich in  Augenkontakt steht. Tja, ich wusste es ja schon immer, dachte ich, diesen Kulturmenschen sind Rang und Titel nicht wichtig.  Hier ist Mann auch als Begleitperson jemand. Es  schmeichelt  mir, dass Herr Yersin sich so intensiv mit mir unterhält. Gut 20 Minuten dauert der Smalltalk. Und dann kommt sie. Total unerwartet. Frontal an mich gerichtet. Sozusagen die Königsfrage der Nacht:  “Sagen Sie mir doch, Herr Krupski, wir hören ja in der Schweiz wenig von Neuseeland. Mit welchen Themen ist die Schweizer Botschaft hier in Wellington denn zur Zeit beschäftigt?“ „Herr Yersin“, entgegnet Marion, „ ich sehe, Sie haben nicht gegoogelt , denn diese Frage müssen Sie mir stellen. Ich bin die Botschafterin!“. Während Marion und ich uns über den Irrtum  amüsieren, ist es Herrn Yersin furchtbar peinlich, kann kaum glauben, dass ihm ein solcher Fehler unterlaufen ist und beschimpft sich mehrfach als „ alten Macho.“

Vergiss dein Kulturmenschen-Geschwafel. Eine simple Verwechslung, wie sie auch schon vorgekommen ist. Ausgelöst durch stereotypes Denken. So nennt man die Rollenmuster, die sich im Künstlerhirn genauso festgesetzt haben  wie in irgendeinem Gehirn. Und doch ist heute etwas anders als sonst. Dieser ältere Mann, welcher mir gegenüber sitzt, ärgert sich über seinen Lapsus und kann kaum glauben, dass ihm ein solcher Irrtum passiert ist. Er will verstehen,  stellt Fragen, ist neugierig. Und kurz bevor es für uns alle Zeit wird ins Bett zu gehen, kommt der Satz, über welchen ich noch lange nachdenken muss: „Heute Abend bin ich stolz auf die Schweiz. Ich bin stolz, einer solch modernen Schweiz, wie ich sie heute Abend kennenlernen konnte, anzugehören“.  „Und wissen Sie,“ fährt er fort, „wir  Kulturschaffenden sind gewöhnlich nicht stolze Schweizer, und wenn wir es auch wären, wir würden es nie sagen, schon gar nicht öffentlich. Das ist bei uns  verpönt. „

Nach etwas Zaudern teile ich das Kompliment mit Ihnen, geschätzte Leserinnen und Leser, und mache es unschweizerisch, weil unbescheiden, öffentlich. Weil mich hat‘s gefreut.

Auf Wiedersehen Yves. War schön Dich hier zu haben.  Au revoir, Monsieur l,Ambassadeur, lacht und steigt ins Auto.

Es grüsst aus der Filmmetropole  Middle – Earth

Waldemar Krupski

 

Läck miär, bin ich ä Gluggerä

8. läck miär bin ich.png

Es traf mich völlig unerwartet und somit unvorbereitet. Geschehen diesen Sommer, in der vorletzten Ferienwoche. Genauer am 19. Januar 2014 und sieben Folgetagen. Wie aus dem Nichts eroberte mich dieses höchst unangenehme Gefühl.  Breitete sich in mir aus, schien jede Hirnzelle einzeln mit diesem „Virus“  zu befallen. Heute, ein paar Wochen sind bereits vergangen, schreibe ich darüber. Nutze das Schreiben sozusagen als „therapeutisches Werkzeug  zur Verhinderung einer Posttraumatischen Belastungsstörung.“ Heute ist mir klar: Hätte ich früher, also vor dem 19. Januar, mit Nachdenken begonnen, so hätte ich mir das Schreiben als Therapieform sparen können. Sparen, weil ich eigentlich hätte erahnen können,  ja gar wissen müssen, dass  da etwas Gewöhnungsbedürftiges auf mich zukommt. Aber nein, stattdessen habe ich mich auf die bevorstehende Zeit gefreut.

Der Reihe nach. Es ist Samstagmorgen früh. Treffpunkt Bahnhof Wellington. Während unsere drei Kinder für eine Woche ins „KIWIKAAT“ Lager fahren, sitzt ihre Mutter bereits  im Flugzeug nach Berlin. Auch sie wird erst in einer Woche wieder zu Hause sein. Unsere Kinder kümmert es für einmal nicht, dass Mama auf Dienstreise ist. Sie hüpfen gutgelaunt in den Zug, winken noch kurz und ab geht’s ins Abenteuer. Und ich? Ich stehe vor dem leeren Bahngleis und schwatze mit einem Elternpaar, welches sich ungemein für mich freut, dass ich jetzt eine ganze Woche für mich ganz alleine habe! Schnell weg hier, denke ich, sonst fange ich noch zu heulen an. Peinlich, peinlich. Was jetzt? Soll ich gemütlich in der Stadt einen Kaffee trinken und die Zeitung lesen oder was soll ich mit der neuen Freiheit anfangen? Ich fahre nach Hause. Im Auto spüre ich, wie sich ein riesiger Klumpen in meinem Magen ausbreitet. Zudem erschrecke ich, als ich mich ertappe, wie ich „ Ich fange nie mehr was an einem Sonntag an“ halb pfeife, halb summe. Mäms hatte diese Schallplatte in den 70er Jahren aufgelegt, wenn ihre Stimmung nicht rosig war.  Dass ich diesen Schlager jetzt auch bemühe, gibt mir Anlass zur grossen Sorge um meinen Zustand. „Spinsch eigentlich“ führe ich Selbstgespräche, „wiä blöd wotsch eigentlich nuh tuä? Jetz gasch gah secklä, deh ghats diär schoh wieder besser“. Gesagt, getan. Tut gut, aber den Klumpen in meinem Bauch kann ich nicht wegrennen. Was gäbe ich jetzt dafür, wenn es aus einem Zimmer schriee: „Paaaaa, wo bisch? Paaaa! “. Stattdessen ist es still. Langweilig still. Peter Bichsel hat einst in einem Radiointerview gesagt: „Wer  in seinem Leben nie Langeweile verspürt, hat nicht wirklich gelebt“. Hat er dieses Gefühl der Leere, der Abhängigkeit, der Unzulänglichkeit gemeint? Die Zeit, über Dinge nachzudenken, über welche man gar nicht nachdenken will? Vielleicht. Ich lebe!

„Nein, nein, deine Reaktion ist ganz normal“, meint Norbert, mit dem ich mich an einem Abend in der Bar treffe. „Als meine beiden Kinder ins Internat gingen und ich sie von einem Tag auf den andern nur noch am Wochenende sah, war das anfangs sehr hart für mich“. Norbert war auch Vollzeitvater, ein Berufskollege also, dem ich glauben kann und der mir allen Grund zur Hoffnung gibt. Die Tage vergehen und mit ihnen auch der Klumpen in meinem Bauch. Endlich, - Freitag ist da! Heute Abend hole ich die Kinder am Flughafen in Wellington ab und morgen Samstag Marion. Janina sieht mich zuerst und springt mir  entgegen:  „Papa isch cool gsi im Lager. Säg, dörfet miär ä Donut?“  „ Ja, klar Janina. Hüt chönd iär vo miär ha, was immer iär wend.“ „Ehrlich Papa? Meinsch das im ärnscht? Hesch eppä Langizyt gha nach is, hä?“ „Ja weisch Janina, ich ha ersch i dennä Feriä gmärkt, was für nä Gluggerä ich by“.

Es grüsst aus dem vollzähligen Haus

Waldemar Krupski

Weihnachtszeit. Sommerzeit. Ferienzeit!

7. Sommer in NZ.png

Wie auch im vergangenen Jahr verbringen wir die  Weihnachtstage zu Hause in Wellington. Letztes Jahr  bei 30°C am Pool. Heuer mit Faserpelz und Wintersocken. Etwas unerwartet kommt so, bei Nässe und Kälte, auch bei uns weihnachtliche Stimmung auf. Ja, das Wetter  in Neuseeland ist unberechenbar, launisch. Vier Jahreszeiten innerhalb von 24 Stunden sind nichts Ungewöhnliches. 365 Tage Aprilwetter! Es wäre gelogen, würde ich schreiben, ich hätte mich in den 3 ½ Jahren daran gewöhnt. Habe ich nicht und werde ich mich nicht mehr. Auch nicht an unseren letzten Weihnachten auf der Insel. Und auch nicht, wenn das nasstrübe Regenwetter uns nicht nur wegen der unverhofften Weihnachtsstimmung gelegen kommt. Während sich die Kinder an den Weihnachtsgeschenken freuen, füllen Marion und ich nämlich stundenlang Anmeldeformulare für Berliner Schulen aus. Zeitgleich erhalte ich eine Sprachlektion und lerne den Unterschied zwischen der gebundenen und der offenen Ganztagsgrundschule. Oder wissen Sie, liebe Leser, was mit einer verlässlichen Halbtagsgrundschule gemeint ist? Berlin – unsere neue Heimat ab Sommer 2014. Wir freuen uns, trotz sprachlicher Herausforderungen, die uns erwarten.

Vorerst sind wir aber noch in Neuseeland zu Hause. Genauer gesagt, verbringen wir zurzeit unsere Sommerferien auf der Südinsel Neuseelands. Ausgerüstet mit zwei kleinen Zelten und Schlafsäcken und der Hoffnung, der Jahrhundertsommer vom vergangenen Jahr, welchen ich notabene mit den Kindern in der Schweiz verbrachte,  möge sich wiederholen,  freuten wir uns auf wenigstens ein paar Tage Zeltferien am Strand. Wird wohl nichts.  Auch die zehnte  Nacht in Folge verbringen wir im Motel. Stimmen die  Wetterprognosen, werden unsere Zelte in diesen Ferien nicht ein einziges Mal aufgestellt. Das hier ist nichts für Schönwettercamper - Gummistiefel gehören zur Camping Grundausrüstung. Hardcore campen nenne ich das. Nichts für uns. Gottfriedstutz,  ein wenig mehr Wetterglück hätten wir schon verdient! Das Schlechtwetterprogramm mit den Kindern ist bereits ausgeschöpft. „100% pure New Zealand“, wie es die Werbung verspricht, findet draussen in der Natur, nicht drinnen im Museum statt. Dabei liegen bis an den Horizont reichende, fast menschenleere, traumhaft schöne  Sandstrände vor uns. Nur ein paar Jungs scheint das kühle Wetter den Spass am Wellenreiten nicht zu vermiesen. In ihren Neopren-Anzügen gleiten sie mit ihren Brettern über das Wasser. Wer diese einsamen, wilden, windgepeitschten Strände einmal gesehen hat, kann gut verstehen, was Kiwis fernab ihrer Heimat am meisten vermissen. Was werde ich dereinst vermissen?

Ihnen wünsche ich fürs 2014 die passende Mischung  von wünschenswert Neuem, erfrischenden Veränderungen und bleibend Gutem.

Herzlich grüsst aus Neuseeland, Südinsel, Catlins

Waldemar Krupski

7.-Kolumne-01.14-Weihnachtszeit-Sommerzeit-Ferienzeit.png

Mein Ego und mein Sohn Kasimir

6. mein Ego und mein Sohn.png

Sonntagmorgen 8.40 Uhr. Die halbe Strecke ist bereits hinter mir. Gott sei Dank. Meine Beine fühlen sich heute schwer an. Vielleicht liegt es an den zwei kalten Koteletts von gestern Abend. Zusammen mit dem Butterzopf und Gruyèrerkäse und den drei Espressi von heute früh (?) mögen die schon noch etwas aufliegen. Espresso brauche ich einfach, um den Motor zu starten. Triathlon hin oder her.

Kaum fertig gedacht, sitze ich auf dem Velo.  Da fühle ich mich wohl - meine Lieblingsdisziplin. Der Tachometer zeigt  auf den ersten acht Kilometern sagenhafte 34 km/h Durchschnittgeschwindigkeit an. Ich bin schnell unterwegs, für mich verdammt schnell. Auf der langen Gerade sehe ich ihn, den Wendepunkt, bereits vor mir. Dort ist die Hälfte der Strecke erreicht. Von da an geht’s nur noch zurück. Kann ich das Tempo halten, wird das meine persönliche Bestzeit? Und das ohne Training! Das habe ich dieses Jahr bleiben lassen, weil im letzten Jahr praktisch jedes Training mit einem platten Reifen endete. Meist verursacht durch Altglasscherben, die überall und an jedem Strassenrand liegen.

Angefangen hat meine Triathlon-Karriere vor knapp zwei Jahren. Damals machte ich im Hallenbad die peinliche Erfahrung,  dass Kasimir schwimmend bereits schneller unterwegs war. Da hatte mein Ego Alarm geschlagen. Nein, das ist zu früh. Ich bin viel zu jung, als dass der damals 10 jährige Bub  den Papa abhängt. „Improve your freestyle“ (Verbessere dein Kraul), heisst der Schwimmkurs, den ich zwei Wochen später besuche.  Sechs Herren im mittleren bis fortgeschrittenen Alter und zwei Damen  haben sich für den gleichen Kurs entschieden. Der Coach stellt sich vor, gibt Kursziele vor und dann geht’s los. „Six lenghts to warm up!“, sechs Längen zum  Aufwärmen! ruft er. Und die nicht mehr ganz jungen Damen und Herren schwimmen davon wie Torpedos. Was soll das?, frag ich mich.  Was machen die hier? Die schwimmen ja alle so, dass ich davon nur träumen kann! 25 Meter und  meine Puste ist weg. Wie bitte soll ich 150m Kraul einschwimmen?  Habe ich bei der Kursausschreibung etwas übersehen?  Ich lasse die Stunde über mich ergehen, mache mit so gut ich kann. Die Videoauswertung am Ende des ersten Kursabend lässt keinen Zweifel: „Voldemort,“ sagt der Kursleiter zu mir, „you have the greatest potential to improve!“. Will heissen: Du kannst hier am meisten lernen. Kein Wunder, es waren allesamt  Triathleten. Heute, knapp zwei Jahre später, bin ich schon fast einer von ihnen, schwimme problemlos im Pool 2km Kraul ohne eine Pause.

Zurück zum Wendepunkt: Jetzt geht es noch 9km in die anderer Richtung. Kaum gewendet, sackt die Geschwindigkeit ein. Dieser verdammte Wind! Lautlos, unbemerkt, hat er mir eine sensationelle Zwischenzeit ermöglicht. Und nun auf dem Rückweg erhalte ich dafür die Quittung. 23 Std/km zeigt mein Tachometer an. Ich strample wie ein Irrer. Mehr geht nicht. 170 zeigt die Pulsuhr. Bei 175 folgt der Alarm. Achtung, Achtung: Ego kann zu Herzinfarkt führen!, geht es mir durch den Kopf. Die „Dominion Post“, eine der beiden grossen Tageszeitungen in Neuseeland, hätte eine Titelseite, über die ich mich wenigstens nicht mehr aufregen müsste. Aber so übertrieben entwickelt ist mein Ego nun doch nicht; ich darf mich weiter über die Zeitung nerven.

Letzte Etappe 300 m „Freestyle“. Vor einem Jahr noch meine Angstdisziplin. Heute schwimme ich diese Strecke zwar nicht so schnell wie die Torpedos, aber zügig. Nach 4km Laufen und 18km Velofahren hat sich das Feld verteilt. Ich bin im  Mittelfeld, das Wasser stinkt bereits nach dem Schweiss der Schnelleren. Noch 7 -8  Minuten, und ich habe es geschafft. Ein schönes Erlebnis. Ich freue mich über das Geleistete, auch wenn es, gemäss einer unsportlichen Bekannten von mir, nur ein Babytriathlon war.

Gefreut, viel mehr gefreut hat mich diesen Monat aber ein gemeinsames  Sporterlebnis  mit Kasimir. Auf einem Sonntagsausflug sagt er zu mir: „Papa, ich brauch noch etwas Bewegung. Rennst Du mit mir dem Hutt River entlang Richtung nach Hause?“ Ok, let’s go, sag ich. Knappe 2 ½ Stunden später sind wir zu Hause. Mein I-Phone sagt mir, dass wir 20km weit gejoggt sind. Wir klopfen uns gegenseitig anerkennend die Schultern: „Cool gsi Papi - gratuliere Kasimir.“ Für uns beide ist es das erste Mal, dass wir soweit gelaufen sind. Vielleicht ist der Babytriathlon doch nicht nur für mein Ego gut...

Frühlingsgrüsse aus Wellington schickt

Waldemar

Erfolgreich Assimiliert?!

Nikolais (8 Jahre) Schulthek mit Hausaufgabenblatt

Nikolais (8 Jahre) Schulthek mit Hausaufgabenblatt

Dienstagabend, 18.50 Uhr. Das Abendessen steht bereit. In 10 Minuten muss ich in Janinas Schule sein. Ich bin spät dran. Ich bin immer spät dran. „ Kinder, bin weg. Mama sollte jede Sekunde hier sein, dann könnt ihr zusammen Essen.“, sage es, springe aus dem Haus und schwinge mich auf das Velo. Punkt sieben bin ich in der Schule. Die Informationsveranstaltung zum kommenden Schullager beginnt pünktlich. Nach 30 Minuten ist alles gesagt, offene Fragen sind beantwortet. Es bleibt Zeit, gemeinsam etwas zu trinken und sich mit den anderen Vätern und Müttern zu unterhalten. Nein, mir ist nichts Besonderes aufgefallen. Niemand hat mich gemustert, niemand hat mich komisch angeschaut  und schon gar nicht hat mich jemand darauf angesprochen. Ist es wirklich niemandem aufgefallen? Oder wurde es von den andern  Eltern bemerkt, aber als unbedeutend, normal  taxiert? Ich weiss die Antwort nicht. Jedenfalls bin ich peinlich berührt, als ich beim nach Hause pedalen feststelle, dass ich erstens mit den Hausfinken unterwegs bin und zweitens mein grosser Zeh ungeniert und protzig  aus dem kaputten Socken lugt! 

Szenewechsel. Samstagmorgen 06.45 Uhr. Das Telefon holt mich aus dem Schlaf. Unsere Gäste haben am Bahnhof, welcher zu Fuss von unserem Haus in wenigen Minuten zu erreichen ist,  soeben festgestellt, dass ihr Zug am Wochenende nicht verkehrt. „Wie kommen wir jetzt bloss rechtzeitig zum Busterminal in Wellington?“ tönt es gestresst durch das Telefon. „Ich fahre euch!“, sage es, springe aus dem Bett, rein in die Hauschuhe und ab ins Auto. Ehrlich, keine Sekunde habe ich daran gedacht, mein Pyjama mit Strassenkleidern zu wechseln. Erst als ich am Bahnhof aussteige, um mit den Koffern behilflich zu sein, kommt mir der Gedanke, dass es gut ist, dass es noch früh morgens ist, Samstagmorgen. Erstaunte Blicke der Reisenden habe ich nicht bemerkt. 

Die Neuseeländer sind bekannt  dafür, dass sie entspannt, unkompliziert, unvoreingenommen sind.  Dies widerspiegelt sich auch darin, dass es einfach ist, mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Man spricht sich mit Vornamen an, sei es in Shorts oder Anzug. Kommen unsere Nachbarn oder deren Kinder bei uns zu Hause vorbei, öffnen sie die Türe, rufen kurz „Hallo“ und schon sind sie im Wohnzimmer oder stehen bei mir in der Küche. Das war bereits so, als wir uns noch kaum kannten. An diese bewundernswerte Unbekümmertheit habe ich mich rasch gewöhnt.  Was aber unsere Buben von der Schule nach Hause bringen, daran kann ich mich nicht gewöhnen: Hausaufgabenblätter werden lose in den Schulthek gestopft oder noch einfacher in die Hosentasche gedrückt. Notizen werden dort gemacht, wo es gerade Platz auf einem Zettel hat, ein Lineal wird selten bis nie verwendet. „Schludrig!“ denkt sich da einer, der selbst ein unbefriedigend  in Ordnung und Reinlichkeit im Zeugnis hatte. Ordnung und Reinlichkeit war damals  Dauerthema bei den Elterngesprächen - nicht so bei unseren Kindern. „Das machen hier alle so.“, versuchen mich Kasimir und Nikolai zu beruhigen, wenn ich mich wieder einmal beschwere.

Übrigens: „Swiss Kiwis Stories“ , eine Video- Produktion der Schweizer Botschaft in Wellington auf YouTube, erzählt Geschichten von aussergewöhnlichen Neuseeländern mit Schweizer Wurzeln. Geschichten von Menschen welchen es gelingt, Stärken aus den beiden verschiedene Kulturen optimal zu verbinden.  Sehen sie mehr dazu auf www.youtube.com/swissembassynz

Aus den Frühlingsferien in Auckland grüsst

Waldemar Krupski

«Wer niä fort ghat, chat niä heicho»

Mittwochabend, 22.45 Uhr, Flug LX189 Zürich – Bangkok.

4. wer niä .jpg

Vor zwei Stunden standen Kasimir, Janina, Nikolai und ich noch bei der Passkontrolle am Flughafen Zürich-Kloten und haben uns von Mama, Nonna und Freunden verabschiedet. Im Bahntransit zum Gate hörten und sahen wir noch einmal Swissness: Alphorntöne, Jodel und Kuhglockengebimmel. Zwei Langstrecken- und ein Kurzstreckenflug, gut 35 Stunden Reisezeit liegen vor uns, dann werden wir wieder zu Hause sein. Zu Hause: das ist dort, wo Ferdinand, unser Kater, uns sehnlichst erwartet – und wir ihn. Wo im Fischladen die Verkäuferin mich begrüssen und fragen wird, wo ich so lange geblieben sei. Dort, wo die Kinder zur Schule gehen. Wo Alltag herrscht. Vieles ist uns in den vergangenen drei Jahren vertraut geworden. Ich freue mich nach den langen Ferien wieder auf die Routine, geregelte Tagesabläufe, auf den Alltag eben. Und trotzdem – im Bauch fühle ich eine Schwere. Der Teil in mir, der bleiben will! Ein Gefühl, das ich – ich weiss es noch genau – vor 29 Jahren empfand, als ich erstmals ein Flugzeug bestieg. Gary Nowak, unser Nachbar in Altdorf, meinte damals: «Wer niä fort ghat, chat niä hei choh.» Wie recht er doch hat! Wann immer ich verreise, denke ich an seine Worte.

Heute, im Gegensatz zu damals, beschäftigt mich, was Heimat ist. Ist Heimat in Altdorf, wo das Einkaufen viel länger dauert, weil ich ständig Bekannte treffe? Oder auf dem Urnerboden, mit dem an Kindheitstage erinnernde «Düü–dää–doo ...!» des Postautos? Auf dem Riedli, im «Heimetli» ob Attinghausen, wo ab und zu ein Wanderer oder Waldarbeiter vorbei- kommt und eine Anekdote von meinem Vater erzählt? Ist es in Zürich, wo ich meine Frau kennen- und das Stadtleben zu lieben gelernt habe? Oder Bern, wo die Kinder eingeschult wurden und alle ihre Schweizer Freun- de haben, deren Eltern auch zu Marions und meinen Freunden wur- den? Ist es in Mürren im Berner Oberland, wo ich eben einen Alphornkurs besuchte, Klischees erlebte und lebte – und staunte über die Hauswand, welche mit «Heimat» beschriftet ist? Was ist es, das Heimat ausmacht? Die Erinnerung an das traumhafte Sommerwetter der vergangenen Wochen, die Bilderbuchschweiz, die wir erleben durften, lässt hier im Flug LX 189 etwas Wehmut aufkommen. Und ich merke: Ja, die Schweiz ist meine Heimat, was immer auch Heimat ausmacht – ich bin stolz auf sie! Ich freue mich bereits die nächsten Ferien in der Schweiz. Weil eben: «Wer niä fort ghat, chat niä heicho!» Auf der Reise nach Hause grüsst

Waldemar Krupski

4. Kolumne 08. 13 Wefr niä fort ghat.png

Traumdestination Neuseeland – man up!

Donnerstag früh morgens. Draussen ist es noch Nacht. Der Wind bläst. Südwind, bin ich mir sicher. Das heisst bei uns direkt aus der Antarktis. Seine Kälte fühle ich durch den Dampfabzug . Wie jeden Morgen stehe ich in der Küche, bereite das Frühstück und die Mittagsbrote für die Kinder vor. Wie jeden Morgen höre ich die Sendung „Echo der Zeit“ auf SRF4. Heute Morgen mit einer Reportage über Neuseeland. JenesLand, welches seit drei Jahren mein temporäres zu Hause ist. 

 „Neuseeland- einer der grössten Klimasünder der Welt“ titelt die Reportage und folgt sogleich mit harten Fakten: 

  • 96% der Flüsse in der Tieflandebene seien zum Schwimmen „ungeeignet.“

  • 90% der Feuchtgebiete seien zerstört.

  • 70% der Süsswasserfische und Krustentiere seien vom Aussterben bedroht.

  • 43% der Seen seien verschmutzt.

Diese schockierenden Zahlen sind mir nicht neu. Sie stammen aus dem Umweltbericht von Mike Joy, Umweltwissenschafter an der Massey Universität, Wellington.  Ganze zwei Tage hat es die ökologische Zeitbombein unseren zwei grossen Tageszeitungen auf die Titelseite gebracht. Meist waren es gezielte Attacken auf den Verfasser. Ein vom Staat bezahlterNestbeschmutzer, war der Tenor, welcher in unverantwortlicher Weise die zweitgrösste Wirtschaftsbranche, den Tourismus, gefährde, etc. Dass Mike Joy die boomende Landwirtschaft, Neuseelands grösster Wirtschaftssektor, als Hauptverursacherverantwortlich macht, trug ihm auch nicht gerade mehr Freunde ein.  John Key, Premierminister von Neuseeland, meinte in einem Radiointerview lapidar: Mit diesen Umweltberichten sei es eben wie mit den Anwälten: es gäbe immer zwei Betrachtungsweisen.  Und weg war das Thema. Eine eigentliche Debatte über die Wachstumsgrenze der Landwirtschaft findet nicht statt. Die Nachfrage im globalisierten Markt ist riesig: 6.4 Millionen Milchkühe, 23% mehr als noch 2007, produzieren hier 26 Milliarden Liter „weisses Gold“, welches zu 95% exportiert wird.  Zusammen mit den 31 Millionen Schafen und 3.7 Millionen Rindern kommt eine Menge Gülle und Treibhausgase zusammen, Tendenz steigend.

Umweltschutz, wie wir ihn in der Schweiz kennen, ist bei der Durchschnittsbevölkerung kein Thema. Niemand regt sich zum Beispiel darüber auf, dass der Eilkurier die Post im Einkaufscenter verteilt, während das Auto draussen mit laufendem Motor wartet; oder den Motor 10 Minuten vorher anzustellen, um in ein warmes Auto zu steigen. Man zögert auch nicht, selbst für Kürzeststrecken das Auto zu nehmen.  Und ob man wegen der generell miserablen Isolation der Häuser mehr die Umwelt als das Haus heizt, ist höchstens wegen der hohenEnergiekosten ein Thema. 

Neuseeland erlebe ich als ein harsches Land, nicht nur klimatisch. Hier leben meist eher bescheidene, genügsame Menschen, die sich selber und ihrer Umwelt viel abverlangen. Da fliesst noch viel Siedler- und Maoriblut durch die Adern. So freute sich unser ältester Sohn Kasimir mit seinen Schulfreunden auf den „Winterjump“, welcher während der Mittagspause von der Schule organisiert wurde. Alle Buben von der 4. bis zur 8. Klasse (9-13jährig) waren dazu eingeladen, ins Meer zu springen. Bei uns ist Winter: Wasser- und Lufttemperatur ca. 12°C, leichter Wind. Nennen wir es gelungene Integration. Kasimir vom Sprung ins Wasser abzuhalten, hatte ich gar nicht erst versucht. „Man up“  sagt man hier - stell deinen Mann! Für mich, ich werde den Gedanken nicht los, passt dieses jährlich stattfindende Ritual zum Umweltbericht.

Aus dem Winter grüsst

Waldemar Krupski

Traumdestination Neuseeland

„… und, was macht den ihrä Mah dr ganzi Tag?“

Sonntagmorgen, 11.00 Uhr. Vor einer Stunde war ich noch in den Gartenkleidern damit beschäftigt, Laub zu wischen. Jetzt begrüsse ich zusammen mit meiner Frau Marion den Besuch aus der Schweiz, eine 25köpfige Reisegruppe aus Basel. In den nächsten zwei Stunden wird meine Frau ihnen über ihre Tätigkeit als Schweizer Botschafterin in Neuseeland erzählen. Was sind Ihre Aufgaben? Sind Sie noch für andere Länder zuständig? Was sind die politischen und wirtschaftlichen Ziele der Schweiz in Neuseeland? Was heisst „Interessenwahrung“? Unsere drei Kinder freuen sich über den Besuch aus der Schweiz;  sie müssen nicht am Staatsunterricht teilnehmen. Stattdessen gibt es für sie zwei extra Gamestunden an der Playstation im Obergeschoss. Schliesslich wollen wir jetzt nicht allzu viel Radau haben. Ich sitze im Nebenzimmer, schreibe E-Mails und höre mit einem Ohr dem Vortrag und den anschliessenden Fragen zu.

Ja klar, eigentlich hätte ich es wissen müssen, ärgere ich mich im Nachhinein etwas. Unsere Rollen entsprechen nicht dem gängigen Rollenbild, erst recht nicht dem schweizerischen. Und so kommt die Frage die dann kommen musste: „Ja, was macht den Ihrä Ma dr ganzi Tag?“ Marion reagiert locker: „Da fragen Sie ihn doch gerade am besten selbst.“ Hätte ich vor ein paar Jahren dieselbeFrage noch mit der Gegenfrage beantwortet: „Würden Sie diese Frage einer Hausfrau auch stellen?“, reagiere ich heute gelassener und erzähle gerne von meinem Tagesablauf: Aufstehen um 6.00 Uhr früh, Brot backen, Lunch für die Kinder zubereiten,  Frühstück bereitstellen, Kinder wecken, etc. Um 09.00 Uhr sind die morgendlichen Routinen erledigt. Bis nachmittags um 15.00 Uhr kann ich mir meine Zeit freier einteilen. Klar,  da gibt’s noch den Einkauf, die Wäsche, dieses und jenes rund ums Haus. Es bleibt aber auch Zeit für das tägliche Alphorn üben, für Sport und die Mithilfe in einemSchulprojekt einer benachbarten Schule. Eine Schule mit geringen finanziellen Mitteln, aber grossen sozialen Problemen. Das Ziel meiner Freiwilligenarbeitist es,  mit den meist arbeitslosen, oft straffälligen Vätern eine Velowerkstatt aufzubauen, sie also vom Fernsehen und der Bierflasche während des Tages wegzubringen. Einen kleinen Erfolg konnten wir bereits verbuchen: Ein paar Väter kamen mit den defekten Velos ihrer Kinder zur Schule, als ich dort mit zwei wirklichen Veloprofis einen Nachmittag lang gratis Velo reparierte.  Noch mehr als über das Veloflicken lerne ich mit meinem Engagement über das Leben in Neuseeland, fernab vom Hochglanzprospekt mit saftigen, grünen Wiesen, blauen Seen und Adrenalin-Kick-Sportarten.  Um 15.30 Uhr ist meine selbstbestimmte Zeit zu Ende, die Kinder sind aus der Schule zurück. Erst muss der Hunger gestillt werden. Anschliessend werden die Hausaufgaben erledigt und je nach Wochentag ist Fussballtraining, Schwimmen, Klavierunterricht oder auch Nichtstun angesagt. Im Unterschied zur Schweiz gibt es hier keine Nonna, die mirfrüher viel abgenommen hat; keine Nachbarn und Nachbarskinder,  mit denen wir seit Jahren befreundet sind. Hier muss alles geplant,  organisiert und „transportiert“  werden. Das macht die Freizeitgestaltung komplizierter als früher in Bern, da kann ich mich nicht ausklinken.

„ Sie wissen, was all die Mütter tagein, tagaus leisten“, wirft eine Dame ein. „ Ja, das glaube ich zu wissen, nur mit dem Unterschied, dass ich als Hausmann und Vater aufbegehren, klagen und jammern darf...“ Verständnis ist mir zugesichert. Für die Hausfrau und Mutter gilt das nicht! Berührt bin ich beim Abschied, als eine Frau mir sagt, sie sei beeindruckt, wie ich meiner Frau den Rücken frei halte. Ein Kompliment aus dem Herzen, das mich freut und ich Marion sogleich weitergebe: „ Zusammen sind wir ein starkes Team!“ Sagen Sie es doch auch einmal Ihrem Backoffice – ob Mann oder Frau, es freut und schliesslich ist es Frühling.

Aus dem herbstlichen Wellington grüsst

Waldemar Krupski

Und was macht Ihrä Ma dr ganzi Tag?

Miär sind mit em Velo da

Montagmorgen. Schultag. Während unsere zwei Buben sicher mit dem Schulbus zu ihrer Schule gefahren werden, fahren meine 10jährige Tochter  Janina und ich mit dem Velo. Das Velo ist hier in Neuseeland meistens ein Rennrad oder Mountainbike, ein Sportgerät eben,  und weniger ein Transportmittel. Dementsprechend sieht man sie selten im Stadt- und Alltagsverkehr. Ungeübt, ja gar etwas unbeholfenbegegnen uns die Autofahrer auf unserem täglichen Schulweg. Nicht selten werden wir von ihnen beim Überholen zur Seite gedrängt. Der vorgeschriebene Sicherheitsabstand von 1,5m steht wohl im Verkehrsgesetz. Eingehalten wird er jedoch nicht, weil ihn wohl auch die wenigsten motorisierten Verkehrsteilnehmer kennen.

Nach 2km erreichen wir unser Ziel, die Schule.  Wie jeden Morgen ist die Zufahrtsstrasse zu der Schule durch die zahlreichen meist „Mamataxis“ blockiert. Geduldigwird in der Blechlawine gewartet, am liebsten im potenten „Offroader“,  bisdas Töchterleinbeim Schulhaustoraus dem „Panzer“ hüpfen kann. Sicherheit darf etwas kosten! Mich ärgert dieser unnötige Nahverkehr. Für die gut 300 Schülerinnen plus Lehrpersonen plus  Sekretariat steht ein Veloständer für 12 Velos zur Verfügung. Kaum zu glauben, dass der Veloständer um ein Vielfaches überdimensioniert ist! Mehr als 3 Räder habe ich noch nie gleichzeitig parkiert gesehen. Wäre ich Schulleiter, ich würde etwas Ähnliches anordnen, wie ich es von meiner Schulzeit her kenne. Damals, im Bubenschulhaus  in Altdorf, durften nur diejenigen Kinder mit dem Fahrrad in die Schule kommen, die ausserhalb von 1km Radius der Schule wohnten. Der Radius wäre hier vielleicht 5km und betroffen wären die „Mamataxis“.

Wie meistens am Montag, pedale ich vom Schulhaus ins Einkaufscenter, um den wöchentlichen Grosseinkauf zu erledigen. Nach dem Einkauf lade ich den vollbeladenen Einkaufswagen in den Veloanhänger um. Erst jetzt merke ich, dass ich meinen Helm heute vergessen habe. Trotz fehlender Kopfbedeckung fahre ich mit vollbeladenem Veloanhänger los. Die Fahrt  dauert nur kurz, bis ich von einem Streifenwagen mit vielen blinkenden Lichtern überholt und angehalten werde. Eine Polizistin steigt aus und sagt, ohne mich erst zu grüssen:“ You are a bad role model, riding a bicycle in school areaswithout helmet. That’s an $80.—fine!“ ( Sie sind ein schlechtesVorbild, fahren Velo in der Schulzone ohne Helm. Das kostet sie $80.—Busse) Sagt es und zückt einen Bussenzettel. Ich anerkenne die Verkehrsverletzung gebe aber der Polizistin zu bedenken, dass ich, abgesehen vom Fahren ohne Helm, ein gutes Vorbild bin, da ich schliesslich meine Tochter bei „Wind und Wetter“ mit dem Velo zur Schule begleite, bis dato immer mit Helm. Einsicht und Argumentation haben gewirkt. Die Busse musste ich nicht bezahlen.

Liebe Grüsse aus Middle-earth

Waldemar Krupski

Miär sind mit em Velo da